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Welt

Der verzweifelte Kampf um den verkaufsoffenen Sonntag


Mit Klagen versuchen Ver.di und die Kirchen die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage einzudämmen. Der Handel wehrt sich gegen die Bevormundung der Verbraucher. Und warnt vor Konsequenzen. (von Michael Gassmann)

Die Läden in Deutschlands Innenstädten auch an Sonntagen zu öffnen, wird zunehmend zum Politikum. Während die Handelsgewerkschaft Ver.di mit einer breit angelegten Klagewelle gegen die Sonderverkaufstage zu Feld zieht und der Handelsverband Deutschland (HDE) wenigstens die restriktiven und zersplitterten Regelungen der Bundesländer zu retten versucht, geht Karstadt-Chef Stephan Fanderl in die Offensive.

Gegenüber der „Welt“ sprach Fanderl sich für eine weitgehende Liberalisierung aus. „Ich denke, Kunden, Mitarbeiter und Händler kommen heute gut ohne Bevormundung aus. Unsere Nachbarländer machen uns das vor“, sagte Fanderl. Zum Schutz der Mitarbeiter trügen Verbote nicht bei: Das Interesse der Beschäftigten an Sonntagsarbeit sei größer als die Tage, an denen das überhaupt möglich ist – sie wird besser bezahlt. „Und wir haben volle Häuser, wenn wir sonntags öffnen können“, ergänzte er.

HDE-Chef Stephan Genth kritisierte zu straffe Einschränkungen ebenfalls: „Die Familien wollen sonntags shoppen gehen“, sagte er in Düsseldorf. Doch die Händler und ihre Lobbys können sich immer weniger gegen eine Allianz von Ver.di und den großen christlichen Kirchen durchsetzen, die – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – geschlossene Geschäfte an Sonntagen zu unantastbarem Kulturgut erklären.

In kulturell ähnlich geprägten Nachbarländern ist eine so rigide Praxis unbekannt. „Eines unserer Hauptthemen sind die verkaufsoffenen Sonntage in Holland und die Möglichkeiten für Sie, Ihr Wochenende zu gestalten“, wirbt denn auch beispielsweise eine Niederlande-Website.

Ver.di geht gegen die verkaufsoffenen Tage vor

In Deutschland ist die Sonntagsöffnung Ländersache. Die Zahl der maximal erlaubten verkaufsoffenen Sonntage schwankt dabei zwischen vier und zehn Tagen. Die Kommunen dürfen jedoch den Händlern nicht einfach so gestatten, an Sonntagen zu öffnen. Vielmehr ist dies nur möglich, wenn Märkte, Messen oder andere Events einen im Verhältnis zur Einwohnerzahl großen Besucherstrom anziehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil im November 2015 nochmals unterstrichen, das Event müsse prägend sein.

Der HDE hat sich auf eine defensive Linie festgelegt und appelliert, wenigstens umzusetzen, was gesetzlich erlaubt ist. Die Chancen sind minimal. Denn Ver.di lässt in einem groß angelegten Vorstoß auf Einzelfallebene gerichtlich überprüfen, was genau ein prägendes Ereignis ist. Die Gewerkschaft hat bisher rund 90 Verfahren in Gang gesetzt, um verkaufsoffene Sonntag auf Ortsebene zu kippen.

Düsseldorf, Dortmund, Heilbronn und andere Städte haben bereits Termine abgesagt, Köln hat gleich alle verkaufsoffenen Sonntage gekippt. Die Kämmerer fürchten Prozesskosten und Rechtsunsicherheit. „Faktisch führt die Klagewelle dazu, dass in den Gemeinden überhaupt keine Verordnungen mehr umgesetzt werden“, beobachtet Genth.

Fatal sei das vor allem für die kleineren Geschäfte und Fachhändler, die ohnehin vom Online-Boom überrollt zu werden drohen. Generell ist die Stimmung im Handel derzeit gut – im Durchschnitt. Die Konsumenten seien in Kauflaune, der Branchenumsatz werde in diesem Jahr um zwei Prozent auf fast 493 Milliarden Euro steigen. Unter den Kaufleuten übersteige die Zahl der Optimisten diejenige der Pessimisten um neun Prozentpunkte – ein Wert nahe dem Höchststand.

Beängstigende Perspektive für die Innenstädte

Doch der Durchschnitt sagt nicht viel. Viele kleine Händler sehen nach einer am Donnerstag in Düsseldorf vorgelegten HDE-Umfrage schwarz für ihre Zukunft. Der Anteil derjenigen, die die eigene Geschäftslage als „schlecht“ bezeichnen, überwiegt in dieser Gruppe die Kaufleute mit guten Geschäften um 17 Prozentpunkte.

Für das Bild der Citys wäre ihre Geschäftsaufgabe eine beängstigende Perspektive. Händler mit weniger als fünf Beschäftigten kommen zwar nur auf ein Zehntel des Branchenumsatzes, aber sie betreiben 54 Prozent der Filialen. Und auf die wenigen offenen Sonntage entfallen immerhin zwei Prozent des Gesamtumsatzes, sagte Genth. Fallen diese Milliarden auch noch weg, dürften weitere Händler aufgeben.

Besonders betroffen sind Textilhändler. Jeder dritte antwortete auf die HDE-Frage nach der aktuellen Geschäftslage: „Schlecht.“ Von einer guten Geschäftslage wollte nur jeder fünfte sprechen – so wenig wie in keiner anderen Handelsbranche zur Zeit. Folge ist eine Rabattschlacht, von der die Kunden profitieren.

„Der letzte Dezember war ein voller Schlussverkaufsmonat“, sagte Fanderl. Im Frühjahr hätten sich die hohen Preisabschläge fortgesetzt. Nach wie vor böten Händler 15 „Prozent auf alles“ und für Kundenkarteninhaber sogar 20 Prozent, um die Verkäufe zu steigern. „Aber Rabattschlachten hat noch niemand gewonnen“, sagte der Chef von Deutschlands zweitgrößter Warenhaus-Gruppe.

Karstadt reduziere Preise bezogen auf einzelne Artikel oder Warengruppen. „Wir arbeiten nicht mit der Gießkanne, weil wir auch in solchen Marktphasen profitabel bleiben wollen“, so Fanderl. Für die Zukunft der Innenstädte zeigte er sich zuversichtlich, wenn die Kommunen mehr in den öffentlichen Raum investierten. Karstadt selbst habe bei seinen Häusern im Zuge der zurückliegenden Sanierung seine „Hausaufgaben gemacht“.

Quelle: Welt

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