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Der Tagesspiegel

Berlin will Touristen in die Bezirke umleiten


Der Berliner Senat will den Touristenstrom stadtverträglicher machen. Mit frischen Ideen sollen vor allem kiez- und kulturinteressierte Entdecker angesprochen werden.

SABINE BEIKLER

Junggesellenabschiede, bierselige Abschlussfahrten und Rollkoffer-Lärm: Berlin will den Touristenstrom stadtverträglicher machen, und jetzt zeichnet sich auch ab, wie das aussehen soll. Das neue Tourismuskonzept setzt auf Qualität, Nachhaltigkeit, eine digitale Erschließung der Stadt per Apps, kurz: eine „kiez-basierte“ Tourismussteuerung. Zitadelle Spandau statt Brandenburger Tor oder Deutsch-Russisches Museum in Karlshorst statt Museumsinsel in Mitte.

13 besondere touristische Projekte werden in diesem und im nächsten Jahr mit je 3,5 Millionen Euro gefördert, darunter Wasserwandersport, ein „Pfad der Freiheit“ durch die Stadt, die Berlin Art Week, die Musikstadt Berlin, die noch bis 1. Juli laufende Irving- Penn-Ausstellung oder eine Themenroute zur Smart City Berlin. Für Tourismusarbeit in den Bezirken stehen 2018/2019 jeweils 1,3 Millionen Euro zur Verfügung. Das geht aus einem Bericht des Senats an das Abgeordnetenhaus hervor, der dem Tagesspiegel vorliegt und am Dienstag im Senat verabschiedet werden soll. Im Januar hatte der Senat sein neues Tourismuskonzept verabschiedet.

Treptow-Köpenick zum Beispiel erhält 88.000 Euro, um gemeinsam mit anderen „Wasserbezirken“ wie Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg- Wilmersdorf, Reinickendorf, Spandau und Steglitz-Zehlendorf, ein Open- Data-Projekt im Internet für muskelbetriebenen Wasserwandersport, also Paddeln, Rudern, Kanu- oder Kajakfahren umzusetzen und dieses mit dem Hauptstadtportal Berlin.de zu vernetzen.

Vor allem die Bezirke sollen gestärkt werden

„Wir wollen mit unserer Förderung vor allem die Bezirke stärken“, sagte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) dem Tagesspiegel. „Die Potenziale und Herausforderungen sollen wirksamer in den Fokus der touristischen Gesamtstrategie des Landes gerückt werden.“ Je 40.000 Euro erhält jeder Bezirk in 2018 und 2019, um eigene Projekte anzustoßen. Eine Liste darüber liegt noch nicht vor, da die Antragsfrist erst vor kurzem ausgelaufen ist.

Damit die touristischen Projekte in den Bezirken auch tatsächlich wahrgenommen und besucht werden, soll die Berlin Tourismus und Kongress GmbH, kurz: Visit Berlin, das Marketing und die Beratung übernehmen. „Je enger die Bezirke mit uns zusammenarbeiten, desto erfolgreicher können wir sein. Ein Bezirk allein wird auf dem Weltmarkt wohl wenig Aufmerksamkeit erreichen“, sagte Visit Berlin-Geschäftsführer Burkhard Kieker.

Bei Visit Berlin wird zurzeit ein Projektteam mit etwa sechs Mitarbeitern aufgebaut. Es stehen 820.000 Euro für Sach- und Personalkosten zur Verfügung. Noch im Juni soll es einen Termin mit der Wirtschaftsverwaltung, Visit Berlin und den Bezirken geben, um die nächsten Schritte für die Zusammenarbeit oder eine Jahresplanung zu besprechen. Kieker betonte, dass man den Bezirken keine eigenen Konzepte präsentieren wolle. Das Team verstehe sich als Dienstleister für die einzelnen Bezirke.

2,9 Millionen Besucher kamen im ersten Quartal des Jahres nach Berlin

Berlins Tourismus-Chef freut sich, dass allein im ersten Quartal dieses Jahres rund 2,9 Millionen Besucher nach Berlin gekommen sind, das macht ein Plus von sechs Prozent. Die Zahl der Übernachtungen stieg auch im Vorjahresvergleichszeitraum um 6,4 Prozent auf rund 6,7 Millionen. „Wir haben die Insolvenz von Air Berlin schnell überwunden“, sagte Kieker.

Mehr als die Hälfte der 13 Millionen Berlin–Touristen in 2017 sind laut Visit-Berlin-Geschäftsführer Kieker „kulturinteressierte Entdecker“, die Berlin als „Stadt der Freiheit“ erkunden sollen. Mit diesem Slogan wirbt auch Visit Berlin auf seiner Website.

Das Projekt „Pfad der Freiheit“ wird vom Land mit 450.000 Euro finanziert und soll anlässlich der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober dieses Jahres präsentiert werden. Die Besucher sollen mithilfe einer App an die Orte geführt werden, die historisch mit den Begriffen Freiheit und/oder Kampf um Freiheit verknüpft sind, darunter das Rathaus Schöneberg, der Alexanderplatz, die Gedenkstätte und frühere Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen oder die Topographie des Terrors.

Zahlreiche künftige Projekte werden angeschoben

Eine Kommunikationskampagne zum Jubiläumsjahr 2019 „30 Jahre Mauerfall“ wird das Land mit 200.000 Euro fördern, eine Kampagne, die sich an „Qualitätstouristen“ richtet, wird mit 350.000 Euro Haushaltsmitteln unterstützt. Sie soll laut Kieker am Ende der Sommerferien anlaufen. Die Irving-Penn-Ausstellung wurde mit rund 275.000 Euro subventioniert, eine Dachkampagne zur „Berlin Art Week“ Ende September wird mit 150.000 Euro bezuschusst. Für die Musikstadt Berlin wird es 130.000 Euro geben – ebenso für das Rahmenprogramm zur Asia-Pacific Week, die im April stattgefunden hatte.

Auch als "Smart City" wird Berlin bald vorgestellt

Bis Ende des Jahres soll eine Themenroute zur „Smart City“ erarbeitet werden. Ziel des mit knapp 120.000 Euro aus Landesmitteln unterstützten Vorhabens ist es, vernetzte Projekte oder Orte online und im Stadtgebiet zu entdecken. Die Berliner Energieagentur und die Agentur „Ressourcenmangel“ sollen in Kooperation mit der Senatswirtschaftsverwaltung das Angebot erarbeiten. Dabei werden wohl Orte wie der Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof, der Biotech-Campus Berlin-Buch, der Clean Tech Business Park Berlin-Marzahn, der Euref-Campus Schöneberg, aber auch smarte Umwelttechnologien bei der BSR oder der BVG berücksichtigt werden.

Ab 2019 gibt's ein solarbetriebenes Sightseeing-Boot

Eines lässt noch auf sich warten: das von der früheren Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) angeschobene Projekt eines solarbetriebenen Sightseeing-Bootes, das durch Berlin fahren soll. Mehr als 917.000 Euro soll das Boot für Stadtrundfahrten kosten. Fertig ist es noch nicht, aber 2019 soll es dem Vernehmen nach zu Wasser gelassen werden. Erst dann wird auch gezahlt.

Dass Berlin laut einer Studie, wie berichtet, an Attraktivität verloren hat und von Platz sieben auf zehn abgerutscht ist, glaubt Kieker nicht. „Die Leute kommen wegen der Atmosphäre und des Lifestyles. Und über Berlin wird auch weiterhin in anderen Metropolen gesprochen.“ Das Klischee des ernsten, langweiligen, sehr strukturierten Deutschen trifft, so Kieker, nicht auf die vielen Berliner zu, die mit guter Laune durch die Stadt laufen. Vor allem bei gutem Wetter.

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