Verflochtenes im Tieranatomischen Theater
Seit dem 21. Oktober 2019 verflicht die neue Dauerausstellung im Tieranatomischen Theater der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) Objekte aus wissenschaftlichen Sammlungen zu einer Wunderkammer des 21. Jahrhunderts. Mit einer App lassen sich Objekte in immer wieder neue Konstellationen bringen. Virtuelle Touren zu zeithistorischen Einordnungen, genderspezifischen Fragestellungen und Objektgattungen verbinden wissenschaftliche Disziplinen und schließen Perspektiven auf aktuelle gesellschaftliche Themen wie beispielsweise Migration ein.
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"Flechtwerk der Dinge. Das Sammlungsschaufenster der Humboldt-Universität zu Berlin".
Prototyp, Foto: Felix Sattler/HU Berlin.
Ausgehend von den Themenfeldern »Gebrauch«, »Herkunft«, »Vielfalt« und »Lokalität« lassen sich weitere Verknüpfungen aktivieren. Besucher jeden Alters können sich mittels der App spielerisch durch das ‚Flechtwerk der Dinge‘ begeben, sich mit Texten, Bildern und Filmen gezielt über einzelne Objekte informieren oder in virtuellen Touren Zusammenhängen nachspüren. Was verbindet die Fotografie der Marienkirche in Prenzlau mit einer Gesteinsprobe eiszeitlichen Geschiebes? Gibt es ein gemeinsames Werkzeug zum Verständnis eines kristallographischen Modells und Tonscherben aus einem kuschitischen Sakralort im Sudan? Und was hat ein Lavastein mit dem Dschihad zu tun? Die virtuellen Touren zu Sammlungspraktiken (»Üben«, »vergleichendes Sehen«), zeithistorischen Einordnungen (»gesammelt in der DDR«,) genderspezifischen Fragestellungen (»Sammeln ist Frauensache«) und Objektgattungen (»Modelle«) bilden Brücken zwischen wissenschaftlichen Disziplinen, die auch neue Perspektiven auf hochaktuelle gesellschaftliche Themen wie z. B. Migration einschließen. Die historischen Bibliotheksschränke von 1790 bilden eine faszinierende Rahmung für eine Ausstellungsgestaltung, die ohne sichtbare Texte auskommt und den Blick auf die Objekte schult. Die einzigartige Architektur dieser »Wunderkammer des 21. Jahrhunderts« beinhaltet eine für jedes Exponat individuell steuerbare Beleuchtung, die die von den Besucher per App begangene Tour durch die Ausstellung in Echtzeit sichtbar macht. Zum Auftakt präsentiert das Sammlungsschaufenster 80 Objekte aus 24 Sammlungen der HU und von mit der Universität verbundenen Partnerinstitutionen. Die Objekte stammen unter anderem aus dem Historischen Kabinett des Instituts für Psychologie, der Sammlung am Centrum für Anatomie, der Sudanarchäologischen Sammlung, der Kunstsammlung, dem Lautarchiv und dem Medienarchäologischen Fundus. Vertraute Objekte und berühmte Personen tauchen ebenso auf wie weniger Bekanntes und Überraschendes.
In universitären Sammlungen ist nicht nur die Bewahrung von Dingen wichtig, sondern vor allem ihre Benutzung. Aus dem Medienarchäologischen Fundus zeigt das Sammlungsschaufenster einen »Commodore 64«, der als erster leistungsstarker und erschwinglicher Heimcomputer 1982 auf den Markt kam und heute Kultstatus besitzt. Anstatt ihn als Ganzes zu erhalten, ist er in seine Einzelteile zerlegt worden. Verstehen durch Dekonstruieren ist eine zentrale Methode in der Lehre, die manchmal unwiederbringlich sein kann – zu erkunden in der Tour »Verlust gehört zum Geschäft«.
Flechtwerk der Dinge
Das Sammlungsschaufenster der Humboldt-Universität zu Berlin
Neue Dauerausstellung im Tieranatomischen Theater
Campus Nord, Haus 3 Philippstraße 13, 10115 Berlin